Comtheo * Neue Predigten von Martin Jensen (2002)


Predigten       Meditationen       Agenden       Religionen     Home        
Neue Predigten                              

Predigt zum 1. Mose 2,4b-9 am 14. Sonntag nach Trinitatis
9. September 2002 in Schilksee

Liebe Gemeinde,
wir sitzen hier in dieser Kirche unter einem umgedrehten Boot. So ist 
das Kirchendach gestaltet. Ein Boot, ans Ufer gezogen, vielleicht 
ausgebessert, fertig gemacht für ein neues Auslaufen. 
An welchem Ufer unseres Lebens werden wir heute Abend anlegen? 

Ich weiß es nicht, Gott sei Dank. 
Ja, Gott sei es gedankt, dass wir nicht vorhersehen können, wo unser 
Boot heute anlegen wird. 
Ich glaube, er weiß es selber nicht. Gott hat alles getan, um sich selbst 
zu überraschen. Er schuf eine Welt, die sich mit Pflanzen, Tieren und 
nicht zuletzt durch uns Menschen so ganz unvergleichlich, nicht 
vorhersehbar entwickelt. Eine Welt voller Lebensdynamik, voller 
überraschender Evolution. 

Ja, Gott lässt sich von uns überraschen, weil er uns eine Aufgabe 
gegeben hat. „Und Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den 
Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte." So haben Menschen 
es vor ungefähr 3000 Jahren in Worte gekleidet. 
Gott gab uns Atem, damit wir leben. Er gab uns Hände, die zupacken 
und streicheln können. Er gab uns Beine, die laufen, tragen und tanzen 
können. Gott ließ uns erkennen, was Gut und Böse ist, so dass wir 
lernen, erfahren und handeln können. Gott traut uns zu, mit diesen 
Fähigkeiten seine Schöpfung zu bewahren vor Zerstörung und Ödnis. 
Er gibt uns Menschen einen Teil seiner Verantwortung ab. Er macht 
uns mündig, an seiner Statt zu handeln und ihn zu überraschen. 
So überraschend, wie der erste Kuss, der Entschluss, zusammen eine 
neues Leben aufzubauen. Wenn wir mit Liebe und Leidenschaft 
handeln, können wir Berge versetzen - uns ganz intensiv in andere 
Menschen hineinversetzen. Und wir kämpfen um den geliebten 
Menschen, wenn er in Not ist, auch wenn es unsere Fähigkeiten zu 
übersteigen scheint. 
So überraschend unsere Liebesfähigkeit ist, so erschreckend ist unsere 
Wut. Manchmal laufen wir nur noch weg, sind wütend, versuchen uns 
zu schützen, auch mit Mitteln des Hasses. Dann sind wir unzugänglich 
für gute Ratschläge oder vertrauensbildende Maßnahmen. Dann kann 
nur die Liebe uns retten. Liebe, die uns einholen will, vom Du zum 
Ich. 

Ja, wir überraschen Gott. Wir sind eben das Original und nicht die 
Kopie. Wir spielen hier kein Theater, wir geben unser Leben in diese 
Welt hinein, wir kämpfen, laufen weg und holen ein. 

Doch immer wieder werden wir überrundet von Ereignissen, die wir 
nicht zu verantworten haben, die uns Angst machen. Uns zwischen 
Liebe und Wut zu zerreiben drohen. 

Ich denke hierbei an die Hochwasserkatastrophe in Deutschland, 
Polen, Österreich und Tschechien gesehen. Unbändige Gewalt der 
Natur, Versäumnisse des Menschen. Menschen sind überrascht, 
entsetzt und doch nicht klein gemacht. Menschen stehen auf und 
stehen zueinander. 
Menschen stehen füreinander ein und sagen: Du bist Ich. Ich bin bei 
Dir mit Geld, Gütern oder Arbeit. Ich lass Dich nicht allein. - 
Menschen kämpfen, laufen weg und holen ein. 

Gegen die Gewalt des Menschen können wir uns ebenso wenig 
absichern. In wenigen Tagen jähren sich die Anschläge vom 11. 
September. Vier Flugzeuge auf dem Weg in die Dunkelheit. World 
Trade Center und Pentagon in Flammen. Unbeschreibliche Bilder und 
Gefühle, für die wir uns Zeit nehmen sollten, weil wir das Wissen um 
Gut und Böse in uns tragen. Das heißt: Uns ist nicht nur die Gabe der 
Unterscheidung gegeben, was Gut oder Böse ist. Wir haben auch die 
Fähigkeit, beides zu tun und zwar bewusst: Gutes tun und Böses tun; 
lieben und hassen, heilen und verletzen. 
Mit all diesen Fähigkeiten hat Gott uns zur Hüterin und zum Hüter 
seiner Welt gemacht. Manchmal scheint mir, wir selbst seien ein 
unkalkulierbares Risiko für diese Welt. Doch Gott liebt uns. Und was 
kann aus Liebe anderes gedeihen, als Vertrauen. 

Es gehört zu dieser Gott-Menschlichen Liebesbeziehung, dass wir 
Gott als Schöpfer vertrauen, auch wenn wir unser Bestes geben als 
Menschen unter Menschen. Wir können uns unsere Zukunft nicht 
malen. Wir haben Wünsche und Ziele, aber wohin uns der Lebensweg 
führen wird, das wissen wir nicht. Wir haben aber die Zusage Gottes, 
dass sein Lebensatem in uns pulsiert und unsere Lungen füllen will 
mit schöpferischer Kraft, mit Fühlen, Denken und Handeln. Wir 
können etwas bewegen, weil Gott uns dies zutraut. 
Wir können die Plage des nächsten Tages nicht abwenden, aber Gott 
traut uns zu, dass wir ihr begegnen, nicht in Rambo-Manier, sondern 
als mitfühlende, freiherzige, geliebte Menschen. 

Mitfühlend und freiherzig wie die Hobbits Frodo und Sam. Seitdem 
ich 14 war, habe ich die drei Bände von „Der Herr der Ringe" 
unzählige Male in Schulferien oder Semesterferien gelesen. 
Dunkelheit und Niedertracht bedrohen die Welt, alle Zuversicht 
scheint zu schwinden.  Nur Macht und globaler Einfluss haben noch 
Bestand und Zukunft. Doch die unberechenbarste Macht kommt aus 
den Tiefen der Herzen. 
Es ist die Freundschaft von Geschöpfen, die sich nicht alleine lassen. 
Seien sie auch noch so unscheinbar und für mächtige Menschen 
uninteressant. Doch der Hobbit Sam, keineswegs ausgebildet in 
Kampfkunst und Heldentum, lässt seinen Freund Frodo nicht allein 
gehen. Die Dunkelheit droht und Angst macht sich breit. Doch Sam 
läuft atemlos und holt Frodo ein. 

„Nun höre, Sam", sagte Frodo, „halte mich jetzt nicht auf. Die 
anderen können jede Minute zurückkommen. Es würde dein sicherer 
Tod sein, wenn du mitkämst. Aber ich muss sofort gehen. Es ist die 
einzige Möglichkeit."
„Natürlich", sagte Sam. „Aber nicht allein. Ich komme mit, oder 
keiner von uns geht." Energisch stemmte Sam die Fäuste in die Seite. 


„Frodo musste lachen. Ihm wurde plötzlich weich und warm uns Herz. 
„Es hat keinen Sinn, dir entkommen zu wollen. Aber ich bin froh, 
Sam. Ich kann nicht sagen, wie froh. Komm mit! Wir werden 
zusammen gehen."
(Leicht verändert nach J.R.R. Tolkien, Die Gefährten, S. 490)

Ich wünsche mir, dass wir wie Frodo und Sam in Gemeinschaft den 
unbekannten Ufern unseres Lebens entgegenrudern können.
Lassen wir uns begleiten von Gott, der uns Welt und Wissen gab und 
vom Menschen, der uns liebt.

Amen

Ideen und Mails an: martin@comtheo.de